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Die zahlreichen und vielfältigen Demonstrationen, Aktionen und Kundgebungen gegen Rechtsextremismus und die hohe Beteiligung von Bürger*innen in den letzten Wochen scheinen ein eindeutiges Zeichen dafür zu sein, dass Zivilcourage exponentiell an Bedeutung gewonnen hat. Mit dem Jahresthema und dem dazu passenden biblischen Zitat könnte sich die Katholische Hochschule nun in eine lange Liste an teils romantisierenden, teils pathetisierenden und manchmal auch moralisierenden Aufrufen zu ‚mehr Zivilcourage‘ einreihen. Möglicherweise wird man dem Anliegen dessen, was mit ‚Zivilcourage‘ bezeichnet wird, jedoch besser gerecht, wenn genau hingeschaut und differenziert wird?!

"Tu deinen Mund auf" - Erläuterungen zum Bibelzitat

Gehen wir dafür noch einmal zum biblischen Zitat zurück, in dem deutlich wird, dass es um etwas Grundlegenderes geht: Die Aufforderung geht (so leitet jedenfalls Spr 31,1 den Abschnitt ein) an Lemuel, den König von Massa, also eine Autorität höchsten Ranges, gewissermaßen an eine Führungsperson durch – man höre und staune – seine Mutter! In einer Interpretation dieser Szene könnte man sagen, es geht um das Verhältnis von staatlicher bzw. formeller und moralischer bzw. informeller Autorität. Und noch tieferliegend um die Frage nach Recht und Gerechtigkeit und der Verantwortung für ein gutes Leben für alle Menschen.

Den Mund aufzumachen gegen Ungerechtigkeit stellt sich also gegen verschiedene Tendenzen der Verantwortungsdiffusion: der Einzelne, der nicht bereit ist, sich einzusetzen und lieber auf staatliche Maßnahmen hofft, aber auch das Fehlen von Strukturen, da Verantwortung politischerseits individualisiert auf die einzelnen Bürger*innen abgeschoben wird.

Den Mund aufzumachen, um Recht zu schaffen, geht dann auch in zwei Richtungen: Es geht einerseits um Zivilcourage, die mithilfe des bestehenden Rechts allen Menschen zu einem guten Leben verhelfen will. So in Situationen in denen nur persönlich gehandelt werden kann, z.B. wenn ein muslimisches Mädchen im Bus von einer älteren Dame wegen ihrer Kopfbedeckung beschimpft wird. Dass dies jedoch nicht genug ist, zeigt eine andere Facette im Spannungsfeld von Recht und Gerechtigkeit: den Mund aufzumachen gegen Ungerechtigkeit kann andererseits den Aufruf zu Zivilem Ungehorsam bedeuten. Da es auch unrechtes Recht gibt, welches hinter dem Anspruch der Gerechtigkeit zurückbleibt, braucht es Menschen, die dieses anprangern und gegen bestehendes (unrechtes!) Recht vorgehen, so z.B. im Kirchenasyl.

Helfende Berufe und Zivilcourage

Dieses weite Spannungsfeld zwischen Recht und Gerechtigkeit, Zivilcourage und Zivilem Ungehorsam wirft die Frage auf, wo sich die ‚helfenden Berufe‘ darin verorten. Welche Aufgaben kommen den unterschiedlichen sozialen Professionen und dem einzelnen sozialprofessionell Handelnden zu? Wo kann den Klient*innen, Patient*innen, ratsuchenden Menschen ganz konkret zu ihrem Recht verholfen werden und wo gilt es als Profession vor dem Hintergrund einer größeren Gerechtigkeit bestehendes Recht anzufragen?

Das Jahresthema 2024 regt dazu an, den Einsatz für andere aus verschiedenen Perspektiven zu reflektieren. Es bietet die Gelegenheit wissenschaftlich und ganz praktisch an einer Haltung des couragierten Einsatzes individuell, strukturell und professionsspezifisch zu arbeiten.

Jahresthemen der KH Mainz

Die Katholische Hochschule Mainz widmet sich jedes Jahr einem besonderen Thema, das wissenschaftlich interessant, gesellschaftlich relevant und christlich motiviert ist und in Hochschulveranstaltungen des jeweiligen Jahres aufgegriffen wird. Mit diesen Thematisierungen zeigt die Katholische Hochschule Mainz nach innen und außen, dass und wie ihr die entsprechenden Themen ein Anliegen sind. Die Jahresthemen werden jeweils in ein einzelnes Stichwort gefasst und um ein biblisches Zitat ergänzt. Das Stichwort im Vordergrund fokussiert das Thema, während das Zitat seinen christlichen Hintergrund andeutet.